Der Besuch Der Alten Dame Zeitungsartikel Schreiben

Stell dir vor, dein Heimatdorf, Güllen, ist pleite. So richtig pleite. Die Luft stinkt nach Fabrikschließungen, die Leute tragen Löcher in den Schuhen und im Herzen, und der Bürgermeister sieht aus, als hätte er gerade das letzte Stück Hoffnung zum Frühstück gegessen. Klingt nicht prickelnd, oder?

Aber dann! Dann kommt Claire Zachanassian zurück. Ja, DIE Claire! Die, die als kleines Mädchen Güllen verlassen musste. Und jetzt? Jetzt ist sie steinreich. Milliardärin! Sie steigt aus ihrem Privatjet, behängt mit Juwelen und begleitet von einem Gefolge, das selbst einen König neidisch machen würde.

Das Angebot, das man nicht ablehnen kann… oder doch?

Claire hat ein Angebot im Gepäck. Ein verlockendes, ein unfassbares Angebot. Sie verspricht Güllen eine Milliarde! Eine verdammte Milliarde! Genug, um die Fabriken wieder zum Laufen zu bringen, die Straßen zu reparieren und jedem Einwohner ein sorgenfreies Leben zu ermöglichen. Klingt wie im Märchen, oder? Fast zu schön, um wahr zu sein.

Aber natürlich gibt es einen Haken. Einen fetten, stinkenden, moralisch höchst fragwürdigen Haken. Claire will Gerechtigkeit. Sie will Rache. Und zwar an Alfred Ill, ihrem ehemaligen Liebhaber, der sie in jungen Jahren sitzen gelassen hat. Ihr Angebot: Eine Milliarde für Güllen – im Austausch für Ills Tod.

Ja, du hast richtig gelesen. Mord. Für Geld. Klingt plötzlich nicht mehr so märchenhaft, oder? Eher wie ein ziemlich verdrehter Thriller.

Moralische Zwickmühle

Und jetzt beginnt der Spaß! Die Güllener, anfangs schockiert und empört, beginnen langsam, aber sicher, ins Grübeln zu kommen. Eine Milliarde! Was könnte man damit alles anfangen? Neue Schuhe! Ein neues Auto! Vielleicht sogar eine Weltreise! Und Ill? Naja, der hat ja damals auch nicht gerade zimperlich gehandelt, oder? Man muss ja auch an die Gemeinschaft denken… und so weiter und so fort. Du kennst das ja.

Die Leute fangen an, neue Reifen zu kaufen (obwohl sie noch gar kein Auto haben!), bestellen teure Sachen auf Kredit und tragen plötzlich gelbe Schuhe. Gelb! Als ob sie ein geheimes Zeichen vereinbart hätten. Die Atmosphäre im Dorf wird immer seltsamer, immer bedrohlicher.

Ill, der anfangs noch auf die Solidarität seiner Mitbürger gehofft hat, merkt schnell, dass er auf verlorenem Posten steht. Die Güllener lieben ihn zwar immer noch, aber sie lieben die Aussicht auf Reichtum noch mehr. Und langsam, ganz langsam, rückt das Unvermeidliche näher.

"Die Welt machte mich zur Hure, nun mache ich sie zum Bordell." - Claire Zachanassian

Ein Dorf im Geldfieber

Dürrenmatt, der Autor des Stücks, hat mit "Der Besuch der alten Dame" eine bitterböse Satire geschrieben. Er zeigt uns, wie schnell Geld unsere Moral korrumpieren kann. Wie schnell wir bereit sind, unsere Prinzipien über Bord zu werfen, wenn uns der Reichtum winkt. Und das ist, ehrlich gesagt, ziemlich beängstigend.

Klar, in deinem Dorf wird wahrscheinlich keine Milliardärin auftauchen, die einen Mord in Auftrag gibt. Aber die Versuchung, das Richtige zu tun, gegen das Bequeme, das Lukrative einzutauschen, die kennen wir doch alle, oder? Ob es nun der Job ist, bei dem man ein Auge zudrückt, der kleine Betrug bei der Steuererklärung oder das Gerücht, das man weiterträgt, obwohl man weiß, dass es nicht stimmt.

Die Güllener sind wir alle. Nur vielleicht ein bisschen extremer. Dürrenmatt hält uns mit diesem Stück einen Spiegel vor. Und das Bild, das wir darin sehen, ist nicht unbedingt schmeichelhaft.

Aber hey, immerhin haben wir was zum Nachdenken. Und vielleicht auch ein bisschen was zum Lachen. Denn trotz der düsteren Thematik ist "Der Besuch der alten Dame" auch unglaublich witzig. Ein schwarzer Humor, der einem im Halse stecken bleibt. Aber Humor eben.

Also, wenn du das nächste Mal in Versuchung gerätst, das Richtige gegen das Falsche einzutauschen, denk an Güllen. Denk an die gelben Schuhe. Und frag dich, ob du wirklich bereit bist, für ein bisschen Reichtum deine Seele zu verkaufen. Vielleicht ist es ja doch nicht so ein guter Deal.