Der Junge Im Gestreiften Pyjama Charakterisierung Kotler
Okay, lasst uns ehrlich sein. Über Der Junge im gestreiften Pyjama wurde schon viel gesagt. Und ja, es ist eine traurige Geschichte. Aber reden wir mal über jemanden, der oft übersehen wird, aber trotzdem einen bleibenden Eindruck hinterlässt: Leutnant Kotler.
Klar, er ist der Böse. Der Inbegriff des unsympathischen Nazis. Aber ist er *wirklich* so uninteressant, wie alle tun?
Kotler: Der perfekte Schwiegersohn...? Nicht wirklich!
Stellen wir uns vor: Kotler kommt zum Abendessen. Nervös, perfekt gekämmt, wahrscheinlich die teuerste Uniform, die er finden konnte. Er will Eindruck schinden. Aber er ist so übertrieben bemüht, dass es einfach nur unangenehm ist. Er lächelt zu breit, nickt zu oft und versucht, alle mit seinen (wahrscheinlich erfundenen) Kriegsgeschichten zu beeindrucken.
Und dann passiert es: Er lässt versehentlich Wein verschütten. Oder er lacht über einen Witz, der nicht lustig war. Oder er widerspricht dem Vater am Tisch in einer Frage, die eigentlich ganz nebensächlich ist. Der Albtraum jedes ersten Dates mit den Schwiegereltern!
Ein junger Mann mit... Problemen
Man kann es ja kaum glauben, aber Kotler ist eigentlich noch ziemlich jung. Ein Bubi fast. Ein verunsicherter Bubi mit viel Macht. Er will gefallen, will respektiert werden. Und er tut das auf die denkbar schlechteste Art und Weise. Er brüllt, er droht, er misshandelt. Weil er sonst nicht weiß, wie er sich Respekt verschaffen soll.
Das ist natürlich keine Entschuldigung für sein Verhalten. Absolut nicht! Aber es macht ihn... interessanter. Er ist kein eindimensionales Monster. Er ist ein Produkt seiner Zeit, seiner Erziehung und seines eigenen Unvermögens, mit seinen Emotionen umzugehen.
Denken wir mal an die Szene, als er vor Wut ausrastet, als Pavel den Wein verschüttet. Natürlich ist das grausam. Aber es ist auch ein Ausdruck seiner eigenen Unsicherheit. Er hat Angst, Fehler zu machen. Angst, nicht perfekt zu sein. Und er projiziert diese Angst auf Pavel.
Kotler ist wie ein überforderter Praktikant, der plötzlich eine Abteilung leiten muss. Er hat keine Ahnung, was er tut, aber er tut so, als ob. Und das macht ihn umso gefährlicher.
Erinnert er nicht ein bisschen an den Typen im Büro, der immer versucht, sich aufzuspielen? Der jeden Fehler seiner Kollegen ausnutzt, um selbst besser dazustehen? Der so unsicher ist, dass er ständig Bestätigung sucht? Nur dass Kotlers Unsicherheit eben fatale Konsequenzen hat.
Versteht mich nicht falsch. Kotler ist ein schrecklicher Mensch. Aber er ist auch eine tragische Figur. Er ist ein Beispiel dafür, was passiert, wenn Macht in die falschen Hände gerät. Und wie Angst und Unsicherheit zu Grausamkeit führen können.
Und deshalb finde ich, dass wir über Kotler reden sollten. Nicht, um ihn zu entschuldigen. Sondern um zu verstehen, wie solche Menschen entstehen können. Und um zu verhindern, dass es wieder passiert.
Ist das eine "unpopuläre Meinung"? Vielleicht. Aber vielleicht ist es auch Zeit, genauer hinzusehen. Hinter die Fassade des Bösen. Und zu erkennen, dass auch die schlimmsten Monster oft nur verängstigte, fehlgeleitete Menschen sind. Menschen, die dringend Hilfe gebraucht hätten – bevor es zu spät war.
Okay, ich habe fertig. Jetzt dürft ihr mich steinigen. Aber denkt mal drüber nach. Nur mal so.
Und ja, ich weiß, dass Der Junge im gestreiften Pyjama historisch ungenau ist. Aber darum geht es hier ja nicht.
