Freund Hat Keine Zeit Für Mich Aber Für Andere

Ach, die Liebe und die Freundschaft – zwei Seiten derselben Medaille, sagen sie. Doch manchmal, wenn die Medaille im Sonnenlicht schimmert, sieht man plötzlich Kratzer und Dellen, die man vorher nicht bemerkt hat. Ich sitze hier in meinem kleinen Apartment in Lissabon, die Sonne wirft lange Schatten über die Dächer, und denke an Kai. Kai, mein bester Freund, oder besser gesagt, das, was er mal war.

Die Geschichte von Kai und mir ist lang. Wir kennen uns seit der Schulzeit. Gemeinsam haben wir die ersten holprigen Schritte in die Welt der Erwachsenen gemacht, die ersten Partys gefeiert, die ersten Liebeskummer durchlitten. Er war immer da. Egal, ob ich einen Rat brauchte, eine Schulter zum Ausweinen oder einfach nur jemanden, der mit mir stundenlang über Gott und die Welt philosophierte. Kai war mein Fels in der Brandung.

Erinnerst du dich an das Gefühl, wenn du mit deinem besten Freund die ganze Nacht durchredest und die Sonne am Horizont aufgeht, ohne dass es euch langweilig wird? So war es mit Kai. Wir verstanden uns blind, sprachen dieselbe Sprache, lachten über dieselben Witze. Wir planten sogar, gemeinsam die Welt zu bereisen, sobald wir genug Geld gespart hätten. Der Plan war simpel: Rucksack packen, Job kündigen, und los geht’s! Thailand, Vietnam, Indien – alles stand auf unserer Liste.

Aber dann kam alles anders. Kai lernte Anna kennen. Anna war toll, keine Frage. Hübsch, intelligent, witzig. Ich mochte sie von Anfang an. Und ich freute mich für Kai, dass er endlich seine große Liebe gefunden hatte. Aber mit Anna kam auch eine Veränderung. Eine schleichende Veränderung, die sich wie ein feiner Sandsturm über unsere Freundschaft legte.

Die ersten Anzeichen

Die ersten Anzeichen waren subtil. Plötzlich hatte Kai weniger Zeit. Unsere wöchentlichen Treffen wurden seltener, unsere Telefonate kürzer. Wenn wir uns doch mal trafen, drehte sich das Gespräch hauptsächlich um Anna. Was sie gesagt hatte, was sie getan hatte, was sie an diesem Tag erlebt hatte. Ich verstand es ja. Frisch verliebt zu sein, ist aufregend. Man möchte die ganze Welt an seinem Glück teilhaben lassen. Aber irgendwann wurde es einfach zu viel. Ich fühlte mich wie ein stiller Beobachter in Kais Liebesgeschichte, anstatt wie ein aktiver Teil seines Lebens.

Ich versuchte, es anzusprechen. „Hey Kai, alles gut bei dir?“, fragte ich eines Tages. „Ich habe das Gefühl, wir sehen uns kaum noch.“ Seine Antwort war ausweichend. „Ach, du weißt doch, wie das ist. Neue Beziehung, viel zu tun auf der Arbeit. Aber alles gut, wirklich!“ Ich glaubte ihm nicht. Ich spürte, dass mehr dahinter steckte.

Die Reisepläne verpuffen

Und dann waren da noch unsere Reisepläne. Die, die wir jahrelang geschmiedet hatten. Die, die uns so viel bedeuteten. Ich sprach das Thema vorsichtig an. „Kai, was ist eigentlich mit unserer Reise? Hast du noch Lust?“ Er zögerte. „Ähm, ja klar. Aber vielleicht nicht jetzt. Anna und ich haben auch überlegt, Urlaub zu machen. Vielleicht… später?“ Später. Dieses Wort klang wie ein Versprechen, das nie eingelöst werden würde. Mir wurde klar, dass unsere Reisepläne, unsere Träume, unsere Freundschaft sich langsam in Luft auflösten.

Es folgten Monate der Funkstille. Kai meldete sich kaum noch. Ich versuchte, ihn zu erreichen, aber oft ging er nicht ans Telefon oder antwortete nur kurz per SMS. Dann sah ich ihn eines Tages zufällig in der Stadt. Er war mit Anna unterwegs, hielt ihre Hand, lachte. Sie sahen glücklich aus. Sehr glücklich. Ich überlegte, ihn anzusprechen, aber ich brachte es nicht übers Herz. Ich wollte ihre Idylle nicht stören. Ich wollte nicht der Störenfried sein, der alte Erinnerungen aufwühlt.

Die Erkenntnis

Ich zog mich zurück. Ich verbrachte viel Zeit alleine, dachte nach, las Bücher, reiste. Ich beschloss, meinen Traum von der Weltreise alleine zu verwirklichen. Ich kündigte meinen Job, packte meinen Rucksack und flog nach Bangkok. Alleine. Es war hart, ohne Kai. Ich vermisste seine Gesellschaft, seine Witze, seine Ratschläge. Aber ich lernte auch, dass ich stark genug war, um meinen eigenen Weg zu gehen. Dass ich mein eigenes Glück finden konnte, auch ohne ihn.

Und dann, eines Tages, bekam ich eine Nachricht von ihm. Eine lange, entschuldigende Nachricht. Er schrieb, dass er sich schlecht gefühlt hatte, dass er unsere Freundschaft vernachlässigt hatte, dass er sich zu sehr auf Anna konzentriert hatte. Er schrieb, dass er mich vermisste. Er erzählte aber auch, dass er keine Zeit für mich hat, da er mit Anna beschäftigt sei und andere Freunde hätte. Er schrieb aber auch, dass er es bereute, unsere Freundschaft nicht wertgeschätzt zu haben und dass er jetzt versuche, es wieder gutzumachen. Allerdings wäre es wohl schwierig, da er ja mit anderen Dingen beschäftigt wäre.

Ich antwortete ihm. Ich schrieb, dass ich ihm vergab, dass ich froh war, von ihm zu hören. Aber ich schrieb auch, dass es Zeit brauchte. Dass ich Zeit brauchte, um das Geschehene zu verarbeiten. Dass ich Zeit brauchte, um zu entscheiden, ob und wie unsere Freundschaft weitergehen konnte.

Und hier bin ich nun, in Lissabon, mit einem Glas Wein in der Hand, und frage mich, was die Zukunft bringen wird. Wird Kai jemals wieder der Freund sein, den ich kannte? Wird unsere Freundschaft jemals wieder so sein wie früher? Ich weiß es nicht. Aber ich weiß, dass ich bereit bin, ihm eine zweite Chance zu geben. Denn echte Freundschaft ist selten und wertvoll. Und manchmal muss man kämpfen, um sie zu erhalten – auch wenn es schwerfällt und manchmal wehtut.

Freundschaft ist wie ein Baum. Sie braucht Zeit, Pflege und Aufmerksamkeit, um zu wachsen und stark zu werden. Und manchmal muss man auch die alten Äste beschneiden, um Platz für Neues zu schaffen.

Was ich aus dieser Geschichte gelernt habe? Dass Freundschaft Arbeit ist. Dass man sie pflegen und wertschätzen muss. Dass man ehrlich zueinander sein muss. Und dass man manchmal auch loslassen muss, wenn es nicht mehr geht.

Mein Tipp für dich, lieber Reisender: Wertschätze deine Freunde. Zeige ihnen, wie viel sie dir bedeuten. Nimm dir Zeit für sie, auch wenn du viel zu tun hast. Denn am Ende des Tages sind es die Freundschaften, die dein Leben reicher und schöner machen. Und wenn du merkst, dass eine Freundschaft in die Brüche geht, kämpfe darum. Aber vergiss dabei nicht, auf dich selbst zu achten und deinen eigenen Weg zu gehen. Denn das Glück, das du in dir trägst, ist das größte Geschenk, das du dir selbst machen kannst. Egal, wo du bist, egal, mit wem du bist. Das Leben ist eine Reise. Und die besten Reisen sind die, die wir mit unseren Freunden teilen. Aber manchmal muss man eben auch alleine losziehen, um sich selbst zu finden.

Und jetzt, entschuldige mich. Ich muss meinen Rucksack packen. Morgen geht es weiter nach Porto. Neue Stadt, neue Abenteuer, neue Freundschaften. Wer weiß, vielleicht treffe ich ja dort meinen neuen besten Freund. Oder vielleicht lerne ich einfach nur, mich selbst noch besser kennenzulernen. So oder so, ich bin gespannt auf das, was kommt.

Also, pack deine Koffer und los geht’s! Die Welt wartet darauf, von dir entdeckt zu werden. Und vergiss dabei nicht, deine Freunde mitzunehmen – oder ihnen zumindest eine Postkarte zu schicken.