Rilke Herr Es Ist Zeit

Ihr Lieben, lasst mich euch heute mitnehmen auf eine ganz besondere Reise. Keine Reise zu fernen Stränden oder pulsierenden Metropolen, sondern eine Reise ins Innere, begleitet von den tiefgründigen Worten eines Mannes, dessen Stimme mich seit Jahren begleitet: Rainer Maria Rilke. Genauer gesagt, von seinem Gedicht "Herbsttag", oder wie es oft zitiert wird, "Herr, es ist Zeit".
Ich erinnere mich noch genau, wie ich Rilke zum ersten Mal begegnet bin. Es war in einem kleinen Buchladen in Prag, versteckt in einer Gasse abseits der Touristenströme. Die Luft roch nach altem Papier und Abenteuer. Ich stöberte zwischen den Regalen, auf der Suche nach etwas...Unbestimmtem. Etwas, das meine Seele berühren würde. Und dann fiel mir ein kleiner Band in die Hände, Rilkes "Sämtliche Werke".
Ich schlug den Band auf, und meine Augen fielen auf "Herbsttag". Die Worte zogen mich sofort in ihren Bann. Die Melancholie, die in jeder Zeile schwingt, die Akzeptanz des Vergänglichen, die Aufforderung zum Loslassen. Es war, als ob Rilke meine eigenen, unausgesprochenen Gedanken in wunderschöne Poesie verwandelt hatte.
Herr, es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß. Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren, und laß die Winde auf den Feldern los.
Schon allein diese ersten Zeilen sind so kraftvoll. Rilke spricht von der Vergänglichkeit, vom Abschiednehmen vom Sommer, der in all seiner Fülle gelebt wurde. Er bittet Gott, seinen Schatten auf die Sonnenuhren zu legen, die Zeit zu verlangsamen, oder vielleicht sogar anzuhalten. Aber er bittet auch darum, die Winde loszulassen, die Veränderung anzunehmen, die unaufhaltsam kommt.
Ich stelle mir vor, wie Rilke selbst im Herbst durch die Felder streift, die goldenen Blätter unter seinen Füßen knistern. Er spürt die kühle Brise im Gesicht und sieht, wie die Ernte eingebracht wird. Es ist eine Zeit der Fülle, aber auch des Abschieds. Eine Zeit, um dankbar zurückzublicken und sich gleichzeitig auf das vorzubereiten, was kommt.
Befiehl den letzten Früchten voll zu sein; gib ihnen noch zwei südlichere Tage, dräng sie zur Vollendung hin und jag die letzte Süße in den schweren Wein.
Hier geht es um die Vollendung, um das Auskosten der letzten Momente. Rilke bittet darum, den letzten Früchten noch zwei sonnige Tage zu schenken, damit sie ihre volle Reife erreichen können. Er möchte die letzte Süße aus ihnen herausholen, den schweren Wein perfektionieren. Es ist ein Appell an uns alle, das Leben in vollen Zügen zu genießen, jeden Moment auszukosten, bevor er unwiederbringlich vorbei ist.
Ich erinnere mich an einen Herbst in der Toskana. Die Hügel waren in warme Farben getaucht, die Weinberge prall gefüllt mit reifen Trauben. Wir besuchten kleine Weingüter, probierten den neuen Wein und aßen köstliche lokale Spezialitäten. Es war eine Zeit der Fülle und des Genusses, genau wie Rilke es in seinem Gedicht beschreibt. Ich spürte die Verbindung zur Natur, die Dankbarkeit für das, was war, und die Sehnsucht nach dem, was noch kommen mag.
Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr. Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben, wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben und wird in den Alleen hin und her unruhig wandern, wenn die Blätter treiben.
Diese Zeilen sind vielleicht die melancholischsten des gesamten Gedichts. Rilke spricht von der Einsamkeit, vom Alleinsein. Wer jetzt kein Haus hat, wird sich keines mehr bauen. Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben. Es ist eine Akzeptanz des Schicksals, eine Ehrlichkeit, die fast schmerzt. Aber auch hier liegt eine gewisse Schönheit. Das Alleinsein kann auch eine Chance sein, sich selbst zu finden, zu wachsen und sich den eigenen Gedanken hinzugeben.
Ich habe diese Zeilen oft in Zeiten der Veränderung und des Umbruchs gelesen. Wenn ich mich verloren und einsam fühlte, haben sie mir geholfen, meine Situation zu akzeptieren und die Schönheit im Alleinsein zu finden. Sie haben mich daran erinnert, dass es in Ordnung ist, sich manchmal zurückzuziehen, zu reflektieren und sich selbst besser kennenzulernen.
Stellt euch vor, wie der Protagonist des Gedichts durch die Alleen wandert, die Blätter unter seinen Füßen knistern. Er ist unruhig, voller Sehnsucht, aber auch voller innerer Stärke. Er wacht, liest, schreibt lange Briefe. Er versucht, seine Gedanken und Gefühle zu ordnen, sich selbst zu verstehen und seinen Platz in der Welt zu finden.
Ich habe das Gedicht schon oft in verschiedenen Kontexten gelesen. In der Natur, in der Stadt, im Flugzeug, im Zug. Und jedes Mal habe ich es anders interpretiert. Das ist das Schöne an Rilkes Poesie. Sie ist so reich an Bedeutung und so vielschichtig, dass sie immer wieder neue Aspekte offenbart.
Meine Empfehlungen für eure eigene Rilke-Reise:
- Lest das Gedicht laut vor. Lasst die Worte auf euch wirken, spürt den Rhythmus und die Melodie.
- Versucht, euch in Rilke hineinzuversetzen. Stellt euch vor, wie er durch die herbstlichen Felder streift, die Vergänglichkeit des Lebens betrachtet und die Schönheit im Abschiednimmt entdeckt.
- Sucht nach Orten, die euch an das Gedicht erinnern. Ein Wald, ein Park, ein See, ein Weingut. Wo immer ihr euch mit der Natur verbunden fühlt und die Vergänglichkeit des Lebens spürt.
- Schreibt eure eigenen Gedanken und Gefühle auf. Was berührt euch an dem Gedicht? Welche Fragen wirft es auf? Welche Antworten findet ihr?
Rilkes "Herbsttag" ist mehr als nur ein Gedicht. Es ist eine Einladung zur Selbstreflexion, eine Ermahnung zum Leben im Hier und Jetzt, eine Hymne an die Schönheit der Vergänglichkeit. Es ist ein Gedicht, das mich immer wieder aufs Neue inspiriert und begleitet.
Ich hoffe, ich konnte euch mit meinen Worten ein wenig für Rilke und seine Poesie begeistern. Lasst euch von seinen Worten auf eine Reise ins Innere mitnehmen und entdeckt die Schönheit und Tiefe, die in jedem von uns schlummert.
Und nun, meine Lieben, wünsche ich euch eine wundervolle Reise, wo auch immer sie euch hinführen mag. Mögen eure Tage voller Schönheit, Erkenntnis und innerem Frieden sein. Bis bald!
P.S. Wenn ihr selbst schon Erfahrungen mit Rilkes Gedichten gemacht habt, teilt sie gerne mit mir in den Kommentaren! Ich freue mich auf eure Geschichten.

