Sie Fahren 100 Km Und Führen Eine Normale Bremsung Durch
Es ist ein sonniger Dienstagmorgen. Der Kaffee dampft noch leicht im Becherhalter, während die Autobahn unter den Rädern dahinzieht. Die 100 Kilometer scheinen heute besonders lang zu sein. Vielleicht liegt es daran, dass ich mir vorgenommen habe, genau darauf zu achten, was passiert, wenn ich am Ende dieser Strecke ganz normal bremse.
Normal bremsen. Klingt banal, oder? Ist es aber nicht. Denn in diesen wenigen Sekunden, in denen der Fuß vom Gaspedal auf die Bremse wechselt, spielt sich ein kleines Drama ab. Ein Drama, das wir normalerweise gar nicht bemerken, weil wir es schon tausendmal erlebt haben.
Die ersten Kilometer vergehen wie im Flug. Ich singe lautstark zu meiner Lieblings-Playlist, ignoriere die mahnenden Blicke des Beifahrers (der das Experiment eher skeptisch beäugt) und konzentriere mich auf das Wesentliche: die magische Zahl 100. Immer wieder werfe ich einen Blick auf den Kilometerzähler. 92… 95… 98… Die Spannung steigt.
Bei Kilometer 99 beginne ich, mich innerlich vorzubereiten. Ich versuche, meine Atmung zu beruhigen, so, als würde ich gleich einen Marathon laufen. Der Beifahrer kritzelt irgendetwas in sein Notizbuch. Wahrscheinlich notiert er gerade meine geistige Verfassung.
Der Moment der Wahrheit
Kilometer 100. Der Moment ist da. Ich atme tief ein und… bremse. Ganz normal. So, wie ich es jeden Tag tue. Nichts Spektakuläres. Keine quietschenden Reifen, kein Schleudern, kein aufgeregtes Hupen. Einfach nur ein sanftes Abbremsen.
Und dann? Stille. Erleichterung. Und die Frage: War das alles? Nach all der Vorbereitung, nach all der Konzentration, nach all der Spannung? Ja, es war alles. Und gleichzeitig war es viel mehr.
Die kleinen Dinge
Denn in diesem Moment, in dem ich ganz normal gebremst habe, habe ich etwas Wichtiges realisiert. Ich habe realisiert, wie viele kleine, unscheinbare Dinge in unserem Alltag passieren, die wir einfach so hinnehmen. Dinge, die aber, wenn man genauer hinsieht, unglaublich faszinierend sind. Die Technik, die dahinter steckt. Die physikalischen Gesetze, die wirken. Und vor allem: das Vertrauen, das wir in unsere Fahrzeuge und in uns selbst haben.
Ich denke an die Ingenieure, die das Bremssystem entwickelt haben. An die Arbeiter, die es eingebaut haben. An die Mechaniker, die es regelmäßig warten. Und an all die anderen Menschen, die dazu beigetragen haben, dass ich heute Morgen ganz normal bremsen konnte, ohne Angst haben zu müssen, dass etwas schiefgeht.
Und ich denke an meine Fahrlehrerin, Frau Schmidt, die mir beigebracht hat, wie man richtig bremst. An ihre Geduld, ihre Ruhe und ihre unendlichen Wiederholungen. Ich sehe sie förmlich vor mir, wie sie sagt: "Immer schön vorausschauend fahren, mein Junge! Und niemals abrupt bremsen!"
Ich muss grinsen. Frau Schmidt hätte ihre Freude an diesem Experiment gehabt. Obwohl sie es wahrscheinlich für völlig verrückt gehalten hätte.
"Das Leben ist zu kurz, um sich über das Bremsen Gedanken zu machen!" hätte sie gesagt. "Fahr lieber los und erlebe was!"
Aber genau das habe ich ja getan. Ich bin losgefahren und habe etwas erlebt. Etwas, das auf den ersten Blick unspektakulär erscheint, aber bei genauerem Hinsehen eine ganze Welt eröffnet.
Mehr als nur Bremsen
Wir fahren weiter. Der Beifahrer legt sein Notizbuch weg und lächelt. "Na, hat sich's gelohnt?", fragt er. Ich nicke. "Ja, es hat sich gelohnt. Es hat sich gelohnt, die Normalität zu hinterfragen. Es hat sich gelohnt, die kleinen Dinge wertzuschätzen. Und es hat sich gelohnt, einfach mal ganz normal zu bremsen."
Denn manchmal, und das ist die Erkenntnis dieses Tages, ist das ganz Normale das Besondere. Manchmal ist es das Wertvollste. Und manchmal ist es einfach nur… ein Grund zum Lächeln.
Die restliche Fahrt verläuft ruhig. Wir reden über Gott und die Welt. Über die Vor- und Nachteile von Currywurst mit Pommes. Und darüber, ob man beim Abbiegen blinken muss, auch wenn weit und breit kein anderes Auto zu sehen ist. Die ganz normalen Dinge eben.
Und als ich am Ziel ankomme und einparke, bremse ich wieder. Ganz normal. Und diesmal denke ich nicht an Frau Schmidt oder an die Ingenieure. Diesmal denke ich einfach nur an den Kaffee, der jetzt noch besser schmeckt, weil ich gelernt habe, die kleinen Dinge zu schätzen. Und an die Erkenntnis, dass manchmal die banalsten Handlungen die tiefsten Einsichten bergen können.
