Besuch Der Alten Dame Figurenkonstellation

Willkommen in Güllen, oder zumindest willkommen zu einer Reise durch die Figurenkonstellation von Friedrich Dürrenmatts Meisterwerk "Der Besuch der alten Dame"! Dieses Stück ist mehr als nur eine Geschichte; es ist eine tiefgründige Auseinandersetzung mit Moral, Gerechtigkeit und den Abgründen der menschlichen Natur. Egal, ob Sie das Stück gerade erst entdeckt haben oder sich vor einer Aufführung noch einmal vertiefen möchten, dieser Leitfaden hilft Ihnen, die komplexen Beziehungen und Rollen der Charaktere zu verstehen. Machen Sie sich bereit, in die Welt von Güllen einzutauchen!
Die Hauptfiguren im Rampenlicht
Claire Zachanassian: Die Rachegöttin mit dem goldenen Herzen (oder eben nicht?)
Claire Zachanassian, einst Klara Wäscher, ist der Dreh- und Angelpunkt der gesamten Handlung. Sie kehrt nach Güllen zurück, nicht als das arme Mädchen von einst, sondern als milliardenschwere Witwe mit dem Angebot, die Stadt aus ihrer finanziellen Not zu retten – allerdings unter einer einzigen Bedingung: Alfred Ill soll sterben. Claire ist eine faszinierende und beängstigende Figur zugleich. Sie ist reich, mächtig und unerbittlich, aber auch von einer tiefen Wunde der Vergangenheit gezeichnet. Ihre Prothesen sind mehr als nur körperliche Hilfsmittel; sie sind Symbole ihrer Macht und ihres Wandels von der verletzlichen Klara zur unantastbaren Claire. Ihre Begleitung, eine skurrile Sammlung von Dienern und Eunuchen, unterstreicht ihren exzentrischen und herrschaftlichen Charakter.
Wichtig: Claires Motivation ist Rache für die Ungerechtigkeit, die ihr in ihrer Jugend widerfahren ist. Sie wurde von Alfred Ill geschwängert und anschließend öffentlich bloßgestellt. Ihre Rache ist kalt, kalkuliert und bereit, die moralischen Grenzen der gesamten Stadt zu überschreiten.
Alfred Ill: Vom beliebten Bürger zum Gejagten
Alfred Ill ist zu Beginn des Stücks ein angesehener Bürger Güllens, ein beliebter Kaufmann mit einer Familie. Doch er trägt eine dunkle Vergangenheit mit sich herum: Er war einst Claires Jugendliebe und hat sie verraten, um seine eigene Reputation zu wahren. Als Claire zurückkehrt und ihren Racheplan enthüllt, verwandelt sich Ills Leben in einen Albtraum. Er wird zunehmend isolierter und spürt die Angst am eigenen Leib, als die Güllener nach und nach neue Schuhe kaufen – ein Symbol für die Bereitschaft, seinen Tod in Kauf zu nehmen, um am versprochenen Wohlstand teilzuhaben. Ills Charakterentwicklung ist tragisch; er wandelt sich vom selbstgefälligen Bürger zum gebrochenen Mann, der schließlich seine Schuld akzeptiert und sich seinem Schicksal stellt.
Beachten Sie: Ills Akzeptanz seines Todes am Ende des Stücks kann als eine Art Erlösung interpretiert werden, aber auch als bittere Erkenntnis der korrumpierenden Macht des Geldes.
Das Kollektiv und seine Rollen
Der Bürgermeister: Der Strippenzieher im moralischen Dilemma
Der Bürgermeister von Güllen repräsentiert die Opportunität und die moralische Flexibilität der Stadt. Er versucht zunächst, Claire zu beschwichtigen und Ill zu schützen, aber als die Aussicht auf Reichtum immer greifbarer wird, beginnt auch er zu schwanken. Er ist ein Pragmatiker, der das Wohl der Stadt im Auge hat, aber dabei seine eigenen moralischen Prinzipien verrät. Seine Rolle ist entscheidend, da er die Entscheidung des Gemeinderats und somit die offizielle Haltung Güllens gegenüber Ills Schicksal repräsentiert.
Der Lehrer: Das Gewissen der Stadt (oder was davon übrig ist)
Der Lehrer ist ursprünglich ein Verfechter humanistischer Werte und ein Mahner gegen die Verrohung der Gesellschaft. Er erkennt früh die Gefahr, die von Claires Angebot ausgeht, und versucht, die Güllener zur Vernunft zu bringen. Doch auch er erliegt schließlich der Versuchung des Geldes und der Bequemlichkeit. Sein moralischer Verfall ist ein Spiegelbild des Verfalls der gesamten Stadt. Der Lehrer symbolisiert das Scheitern der intellektuellen Elite angesichts der Macht des Geldes.
Der Pfarrer: Moralische Ohnmacht
Ähnlich wie der Lehrer versucht auch der Pfarrer zunächst, Ill beizustehen und die Gemeinde zu einem moralischen Standpunkt zu bewegen. Allerdings ist er ebenso hilflos und kann den Lauf der Dinge nicht aufhalten. Er repräsentiert die Ohnmacht der Kirche in einer materialistischen Gesellschaft. Auch er wird schließlich vom Reiz des Geldes korrumpiert, wenn auch subtiler als andere Figuren.
Die Familie Ills: Opfer des Opportunismus
Ills Frau und Kinder sind zunächst besorgt um sein Wohlergehen, aber auch sie lassen sich vom Versprechen auf ein besseres Leben blenden. Sie symbolisieren die Zerstörung der Familie durch die korrumpierende Kraft des Geldes. Ihre Loyalität zu Ill schwindet, je näher der Tag seiner Hinrichtung rückt.
Figurenkonstellation im Überblick: Ein Netzwerk der Beziehungen
Die Figurenkonstellation in "Der Besuch der alten Dame" ist komplex und vielschichtig. Hier eine Übersicht der wichtigsten Beziehungen:
- Claire Zachanassian – Alfred Ill: Die zentrale Beziehung des Stücks, geprägt von Liebe, Verrat und Rache. Ihre Vergangenheit bestimmt die Gegenwart und das Schicksal der gesamten Stadt.
- Claire Zachanassian – Güllen: Eine Beziehung der Abhängigkeit. Güllen ist wirtschaftlich am Ende und benötigt Claires Hilfe, was ihr die Macht gibt, ihre Bedingungen zu diktieren.
- Alfred Ill – Güllen: Ills Beziehung zu den Güllenern wandelt sich von Vertrauen und Beliebtheit zu Misstrauen und Angst. Er wird zum Sündenbock, dessen Tod die Erlösung der Stadt verspricht.
- Bürgermeister – Güllen: Der Bürgermeister steht im Spannungsfeld zwischen dem Wohl der Stadt und seiner eigenen Moral. Er muss die Entscheidung treffen, ob er Ill opfert oder Güllen im Elend lässt.
- Lehrer – Güllen: Der Lehrer ist ein Spiegelbild der moralischen Verfassung Güllens. Sein Verfall symbolisiert den Verfall der gesamten Gesellschaft.
Die Bedeutung der Nebenfiguren
Auch die Nebenfiguren tragen wesentlich zur Atmosphäre und zur Botschaft des Stücks bei. Claires Entourage, bestehend aus ihrem Butler, ihren Eunuchen und den beiden Blinden, unterstreicht ihre Exzentrik und ihre Unbarmherzigkeit. Sie sind stumme Zeugen der Ereignisse und verstärken den Eindruck eines surrealen und makabren Schauspiels. Die Journalisten, die nach Güllen kommen, um über Claires Besuch zu berichten, verkörpern die Sensationsgier der Medien und die Oberflächlichkeit der öffentlichen Meinung.
Zusammenfassend: Ein moralisches Lehrstück
"Der Besuch der alten Dame" ist mehr als nur eine spannende Geschichte; es ist ein moralisches Lehrstück über die Macht des Geldes, die Korrumpierbarkeit des Menschen und die Verantwortung des Einzelnen gegenüber der Gesellschaft. Die Figurenkonstellation verdeutlicht die komplexen Beziehungen und die moralischen Dilemmata, mit denen die Charaktere konfrontiert sind. Indem Dürrenmatt die Güllener als Kollektiv darstellt, das bereit ist, für Geld über Leichen zu gehen, wirft er unbequeme Fragen über die menschliche Natur auf. Das Stück regt dazu an, über die eigenen Werte und die Gefahren der Versuchung nachzudenken. Wenn Sie also Güllen (oder eine Theateraufführung des Stücks) besuchen, behalten Sie diese Figurenkonstellation im Hinterkopf – sie wird Ihnen helfen, die tiefere Bedeutung dieser zeitlosen Tragikomödie zu erfassen.

