Herr Wohin Sonst Sollten Wir Gehen

Die Ausstellung "Herr, wohin sonst sollten wir gehen?" ist mehr als nur eine Sammlung von Artefakten und Fotografien. Sie ist eine tiefgreifende Auseinandersetzung mit Heimat, Exil und der unaufhörlichen Suche nach einem Ort der Zugehörigkeit. Sie fordert den Besucher auf, über die eigenen Wurzeln nachzudenken, die Bedeutung von Migration zu verstehen und die komplexen emotionalen und sozialen Auswirkungen von Vertreibung zu erkennen.
Die Exponate: Fenster in verlorene Welten
Die Ausstellung zeichnet sich durch eine sorgfältige Auswahl von Exponaten aus, die ein breites Spektrum an Perspektiven und Erfahrungen widerspiegeln. Es sind nicht nur die offensichtlich historischen Objekte – wie Koffer, die von Fluchtgeschichten zeugen, oder Dokumente, die die bürokratischen Hürden der Einwanderung dokumentieren – die beeindrucken. Es sind auch die subtileren, persönlicheren Gegenstände, die eine tiefe emotionale Resonanz erzeugen. Ein vergilbtes Foto einer Familie, die vor einem zerstörten Haus steht; ein handgeschriebener Brief, der die Sehnsucht nach der Heimat ausdrückt; ein kleines, abgenutztes Spielzeug, das ein Kind über die Grenzen hinweg begleitete – all diese Dinge erzählen Geschichten, die unter die Haut gehen.
Besonders hervorzuheben sind die multimedialen Installationen. Sie bieten dem Besucher die Möglichkeit, in die Lebenswelten der Betroffenen einzutauchen. Interviews mit Zeitzeugen, die ihre Erfahrungen mit Flucht und Ankunft schildern, schaffen eine unmittelbare Verbindung und verdeutlichen die individuellen Schicksale hinter den abstrakten Begriffen. Videoinstallationen, die die oft traumatischen Ereignisse der Vertreibung visualisieren, sind zwar schwer zu ertragen, aber unerlässlich, um das Ausmaß des Leidens zu verstehen. Klanginstallationen, die die Geräusche der Flucht – das Dröhnen eines Zuges, das Weinen eines Kindes, das Knistern von Feuer – erfahrbar machen, intensivieren das emotionale Erlebnis zusätzlich.
Einblicke in verschiedene Migrationsbewegungen
Ein wichtiger Aspekt der Ausstellung ist die Darstellung verschiedener Migrationsbewegungen im Laufe der Geschichte. Es wird nicht nur auf die Vertreibung von Menschen während des Zweiten Weltkriegs eingegangen, sondern auch auf die Migration von Gastarbeitern in den Nachkriegsjahrzehnten, die Fluchtbewegungen aufgrund von politischen Konflikten und Naturkatastrophen in den letzten Jahrzehnten sowie die aktuelle Debatte um Asyl und Integration. Durch diese vergleichende Perspektive wird deutlich, dass Migration ein allgegenwärtiges Phänomen ist, das die Menschheitsgeschichte seit jeher prägt.
Die Ausstellung macht deutlich: Flucht und Vertreibung sind keine Ausnahmen, sondern ein integraler Bestandteil der menschlichen Erfahrung. Sie sind Ausdruck der Suche nach Sicherheit, Freiheit und einem besseren Leben.
Der pädagogische Wert: Verstehen, Hinterfragen, Handeln
"Herr, wohin sonst sollten wir gehen?" ist nicht nur eine Ausstellung, die informieren will, sondern auch eine, die zum Nachdenken anregt und zur kritischen Auseinandersetzung mit dem Thema Migration auffordert. Der pädagogische Wert der Ausstellung liegt vor allem in ihrer Fähigkeit, Empathie zu fördern und Vorurteile abzubauen. Durch die Begegnung mit den individuellen Schicksalen der Betroffenen werden Stereotypen in Frage gestellt und neue Perspektiven eröffnet.
Die Ausstellung bietet zudem ein umfangreiches Begleitprogramm für Schulklassen und andere Gruppen. Workshops und Führungen ermöglichen es den Besuchern, das Thema Migration aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten und sich aktiv mit den Inhalten auseinanderzusetzen. Diskussionsrunden mit Experten und Zeitzeugen bieten die Möglichkeit, Fragen zu stellen und sich über aktuelle Herausforderungen im Bereich Migration und Integration zu informieren.
Die Vermittlung komplexer Zusammenhänge
Ein besonderer Fokus liegt auf der Vermittlung komplexer politischer und wirtschaftlicher Zusammenhänge, die Migration beeinflussen. Die Ausstellung erklärt die Ursachen von Flucht und Vertreibung, die Auswirkungen von Krieg und Armut, die Rolle von internationalen Organisationen und die Herausforderungen der Integration in die Aufnahmegesellschaft. Durch diese differenzierte Darstellung wird deutlich, dass Migration ein vielschichtiges Phänomen ist, das nicht auf einfache Erklärungen reduziert werden kann.
Die Ausstellung will nicht nur informieren, sondern auch zum Handeln auffordern. Sie zeigt Beispiele von Menschen, die sich für Flüchtlinge und Migranten engagieren, und inspiriert die Besucher, selbst aktiv zu werden. Sie ermutigt dazu, Vorurteile zu überwinden, sich für eine offene und tolerante Gesellschaft einzusetzen und Solidarität mit denjenigen zu zeigen, die ihre Heimat verlassen mussten.
Das Besuchererlebnis: Eine Reise durch die menschliche Seele
Der Besuch der Ausstellung "Herr, wohin sonst sollten wir gehen?" ist eine intensive und bewegende Erfahrung. Die sorgfältig kuratierten Exponate, die eindringlichen Geschichten und die interaktiven Elemente schaffen eine Atmosphäre, die den Besucher tief berührt und zum Nachdenken anregt. Die Ausstellung ist kein einfacher Museumsbesuch, sondern eine Reise durch die menschliche Seele, eine Auseinandersetzung mit den großen Fragen des Lebens – Heimat, Identität und Zugehörigkeit.
Die architektonische Gestaltung der Ausstellung unterstützt das emotionale Erlebnis. Die Räume sind bewusst dunkel gehalten, um eine Atmosphäre der Intimität und des Respekts zu schaffen. Die Beleuchtung ist auf die Exponate fokussiert, um die Aufmerksamkeit des Besuchers auf die einzelnen Objekte zu lenken. Die Texte sind prägnant und verständlich formuliert, um auch ein breites Publikum anzusprechen.
Raum für Reflexion und Austausch
Die Ausstellung bietet dem Besucher ausreichend Raum für Reflexion und Austausch. Es gibt ruhige Bereiche, in denen man innehalten und die Eindrücke verarbeiten kann. Es gibt auch Möglichkeiten, mit anderen Besuchern ins Gespräch zu kommen und sich über die eigenen Erfahrungen und Perspektiven auszutauschen. Dieser Austausch kann dazu beitragen, Vorurteile abzubauen und das Verständnis für andere Kulturen und Lebensweisen zu fördern.
Die Ausstellung ist zwar thematisch anspruchsvoll und emotional fordernd, aber dennoch zugänglich und verständlich gestaltet. Sie richtet sich an ein breites Publikum und will Menschen jeden Alters und jeder Herkunft erreichen. Sie ist ein wichtiger Beitrag zur Auseinandersetzung mit dem Thema Migration und ein Plädoyer für eine offene, tolerante und solidarische Gesellschaft.
Letztendlich hinterlässt die Ausstellung "Herr, wohin sonst sollten wir gehen?" den Besucher mit einer tiefen Erkenntnis: Die Suche nach einem Ort der Zugehörigkeit ist ein universelles menschliches Bedürfnis. Und die Verantwortung, eine Welt zu schaffen, in der jeder Mensch in Würde und Sicherheit leben kann, liegt bei uns allen.
Der Titel der Ausstellung, entnommen aus dem Johannesevangelium (Joh 6,68), ist bewusst gewählt. Er verweist auf die grundlegende Frage, die sich Menschen stellen, die ihre Heimat verlassen mussten: Wohin sollen wir gehen, wenn nicht zu dir, zu eurer Gesellschaft, zu eurer Menschlichkeit? Die Ausstellung ist eine Einladung, diese Frage ernst zu nehmen und sich aktiv an der Gestaltung einer Welt zu beteiligen, in der niemand mehr gezwungen ist, seine Heimat zu verlassen.

